Herbstakademie 2016

2016 hieß es zur 8. Feministische Herbstakademie für Frauen „Sozialismus oder Barbarei? Feministisch eingreifen, jetzt und allerorts“

Das Protokoll zur FemHak 2016 gibt es hier.

An der 8. feministischen Herbstakademie hatten wir folgende Workshops:

  1. Erinnern in die Zukunft: Widersprüche im antizipierten Alltag der Vier- in-einem-Gesellschaft?
  2. Werkstatt Wortgewitter oder die Temperatur der Worte
  3. Wie bewegen wir uns im Mediengewitter?
  4. Revolutionäre Realpolitik
  5. Wenn Selbstveränderung und die Veränderung der Verhältnisse in eins fallen…
  6. Welche Welt ist unsere Welt – Die Zukunftsträume der „Enkelgeneration“
  7. Ist Liebe produktiv und wenn ja, warum nicht?

  1. Erinnern in die Zukunft: Widersprüche im antizipierten Alltag der Vier- in-einem-Gesellschaft? (Mit Ruth May und Jutta Meyer-Siebert)

Ein Versuch mit Kollektiver Erinnerungsarbeit (Frigga Haug) Die Welt ist in einem verkommenen Zustand, aber es gibt Hoffnung. „Nur Utopie ist realistisch“ prognostiziert Oskar Negt, und in der Tat mehren sich die Rufe nach Utopie in der Linken. Dabei hat Frigga Haug mit der Vier-in-einem-Perspektive (4in1) den Entwurf einer Gesellschaft formuliert, der in seiner Radikalität seinesgleichen sucht: Wenn alle – Frauen, Männer und andere Geschlechter – sich täglich mit gleichen Zeitanteilen in den vier zentralen Lebensbereichen Erwerbsarbeit, Sorge für mich und andere (Kinder, Kranke, Alte), Entwicklung der eigenen Fähigkeiten und Gestaltung von Gesellschaft betätigen; wenn keiner dieser Bereiche einem anderen übergeordnet ist, alle die Zeit haben, sich ihr Menschsein anzueignen, wird es dem kapitalistischen Patriarchat, das das umfassende „Elend der Welt“ (Bourdieu) verursacht (hat), unaufhaltsam an den Kragen gehen. In dieser Weise ergriffen und auf dem Weg, für eine Politik zu werben, die eine solche Gesellschaft im Horizont hat, stoßen wir auf viel Zustimmung, aber auch auf Widersprüche. 4in1 stellt nicht nur gewohntes linkes Denken und politisches Handeln infrage, sondern auch die Gewohnheiten, mit denen wir uns selbst darin und in unserem Alltag eingerichtet haben. Bei einer der letzten feministischen Herbstakademien haben wir die Widerstände „der anderen“ thematisiert. Aber wie sieht es mit uns selbst aus? Wie steht es um unsere Vorstellung von den neuen Möglichkeiten? Trauen wir uns mit 4 in 1 etwas zu? Oder verbergen sich auch eigene Vorbehalte und Unsicherheit bei der Vorstellung, wie sich unser jetziges Leben verändern, was an Gewohntem und lieb Gewordenem obsolet werden würde? Im Workshop wollen wir den Sprung ins Ungewisse wagen und unsere Haltung zu einer „4in1 Gesellschaft“ ins Zentrum stellen. Wir nutzen dafür die Methode der kollektiven Erinnerungsarbeit. Mit der Methode zu arbeiten heißt, gemeinsam kurze Szenen/Geschichten nach festgelegten Schritten zu bearbeiten, die die Teilnehmerinnen aus ihrer Biographie zu einem für alle festgelegten Thema erinnern und aufgeschrieben haben. Diesmal verlegen wir die Erinnerung in die Zukunft. Wir bitten die Teilnehmerinnen, sich vorzustellen, dass die 4in1 Gesellschaft Realität geworden ist und wie ihr Alltag in dieser Gesellschaft aussehen könnte. Wir bitten alle darum, kurze, detaillreiche Geschichten zu schreiben (und mitzubringen) zu dem Thema

Ein Tag in meinem Leben in der 4in1-Gesellschaft, an dem … (und hier geht es darum, eine möglichst konkrete Situation zu notieren).

Das setzt voraus, dass den Teilnehmerinnen die Vier-in-einem-Perspektive wenigstens im Ansatz bekannt ist. In die Methode der Erinnerungsarbeit – und wie wir sie für die Arbeit mit Zukunftsentwürfen modifzieren – werden wir zu Beginn des Workshops kurz einführen. Vor- und Nachmittag des Workshops werden sich durch die Bearbeitung von je anderen Teilnehmerinnen-Texten unterscheiden. Wer am Nachmittag dazu stoßen möchte, sollte die Methode der Erinnerungsarbeit kennen. Texte zur möglichen Vorbereitung: ND-Artikel von FH zu 4in1 (pdf) Leifaden zur Einnerungsarbeit (pdf)


2. Werkstatt Wortgewitter oder die Temperatur der Worte (Frigga Haug & Ines Schwerdtner)

Einführung: Unsere Herbstakademie nennen wir: Sozialismus oder Barbarei – Beide Worte haben eine starke Gefühlsgeschichte, beide haben auch einen negativen, einen Missklang. D.h. so ohne Weiteres kann man so keine Politik machen – nicht mit dieser Temperatur der Worte. Für politisches Eingreifen braucht es zuvor ein anderes Gewitter, das die Bedrückung vertreibt und uns klare Gedanken und bejahte Gefühle ermöglicht. Dieses wollen wir herbeiführen. Es ist schwierig, weit verbreitete Aufladungen von Worten umzupolen, also aus einer negativen Beladung eine positive zu machen – es hängt eine lange Geschichte von Unverarbeitetem, von „moralischem Gedächtnis“ (Christa Wolf) von Erfahrungen, vor allem im Politischen von Medien-Kampagnen von oben darin. Damit umzugehen ist das, was Gramsci den Stellungskrieg im politischen nennt. Darin die Frage: Wer sind wir? Wer sind „die anderen“? Es ist dies nicht nur Klassenkampf von oben (auch ein Wort mit zweifelhaftem Geschmack geworden), sondern dieser ist ja zugleich in Geschlechterverhältnisse eingebaut, ein Zusammenhang, dessen Erforschung erst in den Anfängen steckt. Es sind zwei Herrschaftsverhältnisse ineinander verwoben. Das macht es einerseits enorm schwierig, braucht vielseitige Methoden, andererseits können wir fast an jedem Punkt anfangen an lohnende Entwirrung der Trennungszusammenhänge zu gehen. Grade als Frauen, wir haben überall an Erkenntnis zu gewinnen und weniger zu verlieren. Auf solche hier nicht sorgfältig ausformulierten Voraussetzungen bauen wir gewöhnlich bei unseren Presseanalysen – Wortgewitter entladen also – dies ist immer notwendig und immer lohnend, in dem Sinne, dass wir Neues dazulernen über die Machenschaften aus der herrschenden Klasse in allen Abstufungen und darin über uns selbst, unsere Komplizenschaft. Dazu nutzen wir als weiteres Medium die Erinnerungsarbeit. In dieser Werkstatt geht es darum, unser Wissen, unsere Erfahrungen, unsere Phantasie zum großen Feld von Erinnerung und Vergessen und so auch die Ressource, aus der wir Phantasie und Kenntnis gewinnen, zu wecken und zu vertiefen. Es geht auch darum, Worte zu finden für unsere Sehnsüchte, unsere Perspektive, gegen die unbedachte Geringschätzung anderer. Wir sind nicht allein, sondern treten in die Fußstapfen von Vorgängerinnen und Vorgängern. Wir wenden uns in dieser Werkstatt dafür dem großen Roman von Christa Wolf zu, Kindheitsmuster – (es gibt ihn zurzeit für 49 Cent bei Amazon, besorgt ihn euch alle unbedingt – wir brauchen ihn immer wieder) Er gehört zu dem, was wir erben wollen und behalten und verschenken; er überbrückt auch die unterschiedlichen Kulturen und Vergangenheiten aus Ost und West. Im ersten Teil der Werkstatt (vormittags) lesen wir ausgewählte Stücke gemeinsam. Einige (wer?) bereiten Text-Stücke, die sie besonders beeindruckten und einen Akkord in ihnen anschlugen, für die Gruppe zur Diskussion vor. – Alle, die an dem Workshop nachmittags weiterhin teilnehmen oder dazu stoßen wollen, sollten Kindheitsmuster wenigstens in Auszügen gelesen haben und schreiben eine Skizze zu den „Glitzerworten“ Sozialismus oder zu Barbarei. Also forschende Erinnerung an die Begegnung mit diesen Worten früh in ihrem Leben bis heute. Es sollen keine ganzen Szenen sein, wie gewöhnlich bei Erinnerungsarbeit, aber doch Erinnertes ans Auftauchen der Worte und den Kontext und womöglich Veränderung in den Gefühlen (wie z.B. das Wort Sozialismus von einem Hoffnungsträger zu einem verächtlichen Wort wurde, mit dem man nicht gesehen werden will – oder das Wort Arbeit von etwas, das man von klein auf wollte, dann zu vermeiden suchte und Kommunismus (?). Lektüreseitenvorschläge geben wir im Vorfeld an, dennoch sind alle zur Mitarbeit beim Aussuchen der Textstellen aufgefordert und Vorschläge sehr willkommen. Hier könnt ihr Bücher bestellen.
Hier die Seitenangaben zu Christa Wolfs „Kindheitsmuster“, die wir bearbeiten wollen.


3. Werkstatt: Wie bewegen wir uns im Mediengewitter?
Annegret Gabelin und Regina Stosch

Medien beeinflussen die Art und Weise, wie wir denken, fühlen und handeln. Die gesellschaftliche Diskussion darüber, wie dies geschieht, wird derzeit von rechts dominiert. Doch organisiert das Erklärungsmuster der „Lügenpresse“ nicht selbst eine restriktive, lähmende Form der Vergesellschaftung? Wie sind wir als handlungsfähige Subjekte erkennbar, wenn es lediglich darum geht, die „Lügen“ der Herrschenden zu entlarven?

Mit den Mitteln der Diskursanalyse wollen wir in diesem Workshop unsere eigene Medienrezeption hinterfragen. Diskursanalyse sucht den Subtext, geht also der Frage nach, wie es die Medien vor allem sprachlich schaffen, eine andere „Wahrheit“ hervorzubringen, als explizit im Text benannt wird. Dabei werden Sinn und Bedeutung vom lesenden Subjekt produziert. Die „Wahrheit“ ist also nicht unmittelbar im Text zu finden, sondern wird von den Lesenden geschaffen – auch durch Verschweigen.

Anhand der gemeinsamen Analyse von Artikeln zu Aufregern linker Politik, z. B. zum Umgang mit Sahra Wagenknecht, aber auch zur Kölner Silvesternacht, spüren wir den Subtext mittels verschiedener Werkzeuge auf. Welche Angebote und Deutungsmuster machen uns Presse- und Medienartikel? Wie erleben und verarbeiten wir diese? Mit welchen Mitteln und Strukturen wird Einwilligung in die vorgegebene Bewertung gesellschaftlicher Verhältnisse vorbereitet und organisiert? Wie sind wir in ideologischen Aneignungsformen bewusst tätig, obwohl wir uns dieser Formen nicht bewusst werden? Welche Formen finden wir z. B. in facebook oder der BILD-Zeitung – wie verändern wir uns und unsere Rezeption?

Durch die konkrete Arbeit am Material eignen wir uns Instrumente der kritischen Textanalyse an und hinterfragen, wie uns diese unterstützen können, eingreifend zu denken und widerständig zu leben. Wir spüren Spaltungen und Argumente z. B. gegen Sozialistinnen in den Medien auf, verschieben und nutzen sie. Wie wir uns im Mediengewitter bewegen, ist entscheidend dafür, wie wir als linke Feministinnen auch öffentlich eingreifen können, um Kräfteverhältnisse zu verändern.

Der Workshop beschäftigt sich in beiden Teilen mit der Anwendung von Instrumenten der Diskursanalyse und des Konstruierens eines axiomatischen Feldes (nach Brecht). So ist es möglich, dass Teilnehmerinnen nach der Mittagspause hinzukommen oder wechseln können. Inhaltlich werden die Themen Umgang mit Sozialistinnen, Rassismus und Flucht, Sozialismus und Linke – unsere Zukunftsgedanken – bearbeitet.


5. Wenn Selbstveränderung und die Veränderung der Verhältnisse in eins fallen… Melanie Stitz und Katharina Volk

(Nicht nur) in Frauenzeitschriften und Castingshows werden Frauen jeden Tag dazu ermuntert, sich als vereinzelt wahrzunehmen und als wirkmächtig bestenfalls gegen sich selbst. Unermüdlich sollen wir an uns arbeiten, nach der Devise: schlanker, fitter, noch belastbarer. Erfolg sei allein eine Frage der Disziplin, der richtigen Einstellungen und Entscheidungen. Die Verhältnisse bleiben auf diese Weise vom Begehren nach Befreiung und Veränderung unberührt. Wer andererseits lediglich die Verhältnisse ändern will, nicht aber sich selbst, darf mit Tomatenwürfen rechnen, wie einst 1968 die Genossen vom SDS, als sie das Thema Frauenbefreiung einmal mehr vertagen wollten. In revolutionärer Praxis fallen Selbstveränderung und die Veränderung der Verhältnisse in eins, schrieb Marx zu Recht in seinen „Feuerbach-Thesen“. In diesem Workshop wollen wir uns und unsere Praxen kritisch hinterfragen: Wie überwinden wir das Gefühl, ohnmächtig und allein zu sein? Was ändert sich und wie verändern wir uns, sobald wir uns auf den Weg machen und das politische Geschäft den Stellvertretern aus den Händen nehmen? Was können wir gewinnen und verlieren? Was lähmt und was blockiert (Selbst-)Veränderungen? Was fördert Mut und Zuversicht? Wie handeln wir in Widersprüchen widerständig? Im ersten Teil des Workshops sehen wir  gemeinsam Passagen aus einem Film, in dem die Protagonistin, um ihren Job zu behalten, die Mehrheit ihrer Kolleg/innen überzeugen muss, auf ihre Bonus-Zahlungen zu verzichten. Im zweiten Teil des Workshops, angeregt durch Film und Diskussion, üben wir uns darin, selbst Geschichten zu schreiben und/oder zu erzählen , die uns und andere ermutigen, sich selbst und die Verhältnisse zu ändern, feministisch einzugreifen, jetzt und allerorts. Wenn hilfreich, ziehen wir noch Theorie zu Rate und/oder lesen Texte, die beschreiben, wie und aus welchen Anlässen sich Frauen vor uns politisiert und emanzipiert haben.


 7. Ist Liebe produktiv und wenn ja, warum nicht? – Arbeit, Arbeitsteilung und Geschlechterverhältnisse im Wandel. (Mit Franziska Stier und Ulrike Zerhau)

Ziel des Workshops ist es Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse greifbar zu machen, einzuschätzen, welche Entwicklungen sich aktuell abzeichnen und wo feministische Interventionen ansetzen könnten.

Wir wollen anhand der Reproduktionsarbeit nachspüren wie und unter welchen Bedingungen der Erwerbsbereich/die Produktion der Lebensmittel die Vorherrschaft über alle Lebensbereiche, die eine Gesellschaft organisieren muss, gewinnen konnte, wieso Erwerbsarbeit gegenüber allen anderen gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten als die wichtigste gilt.  Wir  werden  feststellen, dass Produktion und Reproduktion nicht von je her Bereiche waren, die scheinbar getrennt voneinander existieren und in welcher Weise mit dem Kapitalismus neue Logiken das Zusammenleben der Menschen Einzug hielten. Die Entwicklung der Produktivkräfte hat nicht nur Einfluss auf die Produktion der Lebensmittel, sondern auch auf unsere gesamte Kultur, die Art und Weise unseres Zusammenlebens, unsere Moral, Lebensziele und unsere Gefühle.

Wir versuchen schließlich auch einen ersten Ausblick auf die Zukunft der Reproduktion im digitalisierten Zeitalter, wobei wir Überlegungen der Debatten um Industrie 4.0 bzw. Arbeit 4.0 einbeziehen werden. Dabei wollen wir nicht allein Gefahrenpotentiale ausmachen und bejammern, sondern auch fragen, welche
Chancen und Strategien  für eine solidarische Gesellschaft auszumachen sind.

Konzeption:
Zu Beginn werden wir das Thema eingrenzen und zugleich einige Begriffsklärungen vornehmen.
Im zweiten Schritt untersuchen wir mit Rosa Luxemburg, Friedrich Engels und Jürgen Kuczynski wie sich Logik und Gestaltung von Produktion und Reproduktion im Umbruch vom Feudalismus zum Kapitalismus veränderten.
Mit dem 4in1 Blick als Kompass und Analyseinstrument  nehmen wir  anschließend in den Blick, wie der Bereich der Erwerbsarbeit alle anderen Bereiche des Lebens dominiert,  und wie sich der Reproduktionsbereich seit den letzten 50 Jahren entwickelt hat.  Im letzten Schritt werfen wir gemeinsam Fragen auf, die für eine feministische Bearbeitung, alternative Perspektiven und Strategie beantwortet werden müssten:

Welche aktuellen, vielleicht auch widersprüchlichen Entwicklungen sehen wir im Produktions- und Reproduktionsbereich? Welche Veränderungen des Zusammenlebens erwarten wir im digitalisierten Kapitalismus? Welche Kämpfe werden heute schon von Gewerkschaften, Frauenzusammenschlüssen und Bündnissen geführt.
Wo genau könnten Ansatzpunkte  für eine feministische Intervention zu einer solidarischen Neugestaltung der Gesellschaft zu finden sein?