Herbstakademie 2017

2017 hieß es zur 9. Feministische Herbstakademie für Frauen: Mach’s wie alle: Sei du selbst! Normalisierungspraxen und wir darin

Das Protokoll zur FemHak 2017 gibt es hier

An der 9. feministischen Herbstakademie hatten wir folgende Workshops:

  • Topgirls. Wie der Neoliberalismus Frauen gegeneinander ausspielt | mit Anna Schiff und Elena Simon
  • [Erinnerungsarbeit: Als ich mich bei einem Regelverstoß schuldig fühlte… | mit Jutta Meyer-Siebert und Annegret Gabelin]      ENTFÄLLT!
  • Wir werden nicht als Frauen geboren… Wie und inwiefern vergesellschaften wir uns als Frauen bzw. wie werden wir vergesellschaftet? Wie können wir uns als Frauen befreien und zugleich die herrschenden Geschlechternormen in Frage stellen? (Auseinandersetzung mit Gender-Politiken) | mit Alexandra Wischnewski und Kerstin Wolter
  • Vergeschlechtlichte Lebensträume und Lebensführung, zwischen Normalisierung und Subversion. Zukunftserwartungen von Kindern und Jugendlichen – und was aus ihnen wird… | mit Pamela Strutz und Roswitha Zell
  • Die 4-in-Einem-Perspektive: ein Projekt des Guten Lebens, für das es sich zu kämpfen lohnt? / 4-in-1 in der Bildungsarbeit | mit Ulrike Zerhau und Sabine Zürn
  • Im Kollektiv Zuhause sein? Erinnerungsarbeit | mit Frigga Haug und Melanie Stitz
  • Ist das noch gesund? /Wie gesund ist das denn? Psychiatrie, Psychologie und Medizin als Normalisierungsinstanzen – und wir darin. | mit Jenny Funke-Kaiser und Ines Schwerdtner

Topgirls. Wie der Neoliberalismus Frauen gegeneinander ausspielt (ganztägig)

2010 prägt die britische Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie den Begriff «Top Girls». Das «Top Girl» hat den Feminismus nicht mehr nötig. Sie greift zwar gerne auf feministische Errungenschaften oder feministische Werte zurück – sie alle kommen aber im neoliberalen Gewand daher. Empowerment heißt dann eine steile Karriere und abends noch zum Sport. McRobbie argumentiert, dass die Bedingung des Zugangs für Frauen auf den globalen Konsummarkt und in die Arbeitswelt ist, dass sie auf feministische Politik verzichten. Formuliert wird diese Bedingung, McRobbie zufolge, ganz wesentlich in der Populärkultur, die dazu beiträgt Ungleichverhältnisse zu verschleiern. McRobbie folgt darin Nancy Fraser, die argumentiert, dass die feministische Kritik am »Familienernährermodell« zwar erreicht hat, dass Frauen politisch und wirtschaftlich als Leistungsträgerinnen und Konsumentinnen ernst(er) genommen werden; gleichzeitig wurden so Lebens- und Arbeitsweisen entsichert.
Mittlerweile ist Feminismus wieder trendy. Modeketten wie H&M und Co. drucken feministische Sprüche auf T-Shirts und Turnbeutel. Madonna inszeniert sich als RiotGirl. Sogar Ivanka Trump ist Feministin.
Im Workshop wollen wir uns mit ganz unterschiedlichen Feldern der Populärkultur, etwa Frauenzeitschriften, Ratgeberliteratur und Werbekampagnen mittels des Werkzeugs der Diskursanalyse auseinandersetzen. Ziel ist es eine Methode zu lernen, die es uns erlaubt Strukturen im scheinbar Beliebigen aufzudecken und zu fragen, welche Machteffekte von ihnen ausgehen. So macht ein einzelner Artikel in einer Frauenzeitschrift noch nicht den Feminismus kaputt. Aber ein Netz an immer gleichen Aussagen.
Von der Analyse ausgehend wollen wir feministisch-produktiv werden und fragen:
Sind Frauen tatsächlich so zufrieden mit dem Post-Feminismus wie Angela McRobbie behauptet?

  • Wie können wir den post-feministischen Botschaften entgegentreten?
  • Sind neoliberale postfeministische Botschaften tatsächlich nur für junge Frauen interessant?
  • Welches Bedürfnis erfüllen sie?
  • Wie können wir Frauen wertschätzend von links abholen?
  • Was antworten wir auf poppigen Feminismus a la H&M?
  • Wie können wir Kritik üben, ohne zu beschämen?
  • Können wir so vielleicht neue Mitstreiterinnen gewinnen?
  • Wie kommen wir vom trendigen Empowerment-Feminismus zur Emanzipation?

Dazu erarbeiten wir uns zuerst die Diskursanalyse als Methode. Nachmittags stürzen wir uns dann auf die gesammelten Werke des Popfeminismus. Bringt gerne Fundstücke mit, die euch ärgern, irritieren, sprachlos lassen. Gemeinsam wollen wir die Verhältnisse sprechbar machen.


 [Entfällt] Erinnerungsarbeit: Als ich mich bei einem Regelverstoß schuldig fühlte…


Wir werden nicht als Frauen geboren…

Wir Frauen können uns als Frauen nur selbst befreien. Diese Feststellung ist nicht allein die Ableitung eines der zentralen Leitsprüche der Arbeiterbewegung („[…] dass die Emanzipation der Arbeiterklasse durch die Arbeiterklasse selbst erobert werden muss […]“ – IAA, MEW 16, 14), sondern setzt voraus, dass wir Frauen uns auch als Frauen erkennen – sozusagen zu einem handelnden Subjekt werden. Bereits Simone de Beauvoir stellte fest „Man ist nicht als Frauen geboren, man wird es.“.

Wie findet dieser Prozess des Frauwerdens statt? Wie und in wie fern vergesellschaften wir uns als Frauen bzw. wie werden wir vergesellschaftet? Wie verhält sich darin der Ansatz des Geschlechts als soziale Praxis – also was ist „Doing Gender“ (Judith Butler). Welche Rollen spielen Herrschaft und Normen bei der Vergesellschaftung der Frau. Wie können wir uns als Frauen befreien und zugleich die herrschenden Geschlechternormen in Frage stellen? Welche Antworten geben marxistische und queerfeministische Ansätze auf diese Fragen?

Dazu wollen wir uns im ersten Teil queerfeministische und marxistisch-feministische Ansätze erarbeiten und ihre Widersprüche und Überschneidungen herausarbeiten. Im zweiten Teil wollen wir uns mit alten und neuen Normierungsprozessen und der Rolle von Herrschaft und Normen in unserer Gesellschaft beschäftigen und vor allem Ansätze diskutieren, wie wir uns als Frauen befreien und zugleich die herrschenden Geschlechternormen in Frage stellen können. Wir wollen uns dem Thema über verschiedene Methode nähern. Dafür wollen wir Inputs, gemeinsames Lesen und Gruppenarbeiten abwechseln.


Vergeschlechtlichte Lebensträume und Lebensführung, zwischen Normalisierung und Subversion. Zukunftserwartungen von Kindern und Jugendlichen – und was aus ihnen wird…

Vormittag: Weißt du noch, damals, als junges Mädchen? Was du dir erträumt hast, wenn du mal groß bist? Wir wollen uns gemeinsam an diese Träume und Wünsche mit euch erinnern und prüfen und besichtigen, was aus uns geworden ist und wohin die Träume verschwunden, welches Einverständnis wir an den verschiedenen Wegscheiden haben und welchen Widerstand und wie wir heute zu welchen veränderten Träumen stehen .
Nach einer pause besichtigen wir, wenn uns genug Zeit und Kraft bleibt, wie es den heutigen Mädchen geht. Wir lesen und prüfen an eigenen Erfahrungen mit Mädchen, welche Zukunft da eingeschlagen wird in diesen veränderten Zeiten. Wir nehmen Texte dazu und schauen, was junge Mädchen sich heute erträumen. Was hat sich verändert?

Nachmittag: Anschließend an den Workshop vom Vormittag (man kann aber auch an dieser Stelle neu einsteigen) wollen wir schauen, wie das Bild der Frau in Gesellschaft, Kunst, Kultur und Politik vermittelt wird. Wie sollen Frauen heute sein und wie wollen sie selbst sein?


Die 4 in 1 Perspektive

In unserem politischen Alltag reagieren wir häufig nur auf aktuelle Ereignisse und die Entscheidungen anderer. Unsere Politik sollte aber doch vor allem gegründet sein auf eigenen gesellschaftlichen Gegenentwürfen, die mitreißen und zum eigenen Handeln mobilisieren. Als Vision einer solidarischen Gesellschaft, als Kompass, mit dem wir Tagespolitik anlegen könnten, schlug Frigga Haug vor einigen Jahren die 4in1-Perspektive vor. Die Neuverteilung von Arbeit, die Beteiligung aller an der Gestaltung der Gesellschaft und wie es um die Verfügung eigener Zeit steht, sind zentrale Ansätze ihrer Überlegungen.
In diesem workshop stellen wir die 4in1-Perspektive vor. Dann gibt aber auch einen größeren Raum für Diskussionen um die Tauglichkeit und Einsatzmöglichkeiten für linke Politik. Wir laden daher zum einen alle ein, die sich mit 4in1 bisher noch nicht beschäftigt haben, zum anderen richten wir uns aber auch an die Frauen, die das Modell schon kennen und konkrete Schlussfolgerungen für ihren politischen Alltag gezogen haben oder dies gerne möchten.


Im Kollektiv Zuhause sein? Erinnerungsarbeit

Starke Frauen klagen nicht, sie wissen Job und Familie „in Balance“ zu halten und sehen dabei auch noch sexy aus. Sie treffen die richtigen Entscheidungen, wählen den richtigen Job und den richtigen Lebenspartner. Ihren Nachwuchs haben sie perfekt getimt und optimieren ihn schon pränatal. Sich richtig „reinhängen“, rät Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin von facebook. Empowerment ist das neue Zauberwort, mit der neuerdings T-Shirts und Gesichtscremes an die selbstbewusste Frau gebracht werden sollen. In den Erfolgsgeschichten jener, die es geschafft haben, kommen Freundinnenschaft und Solidarität nicht vor. Überspitzt lässt sich so das neoliberale Frauenideal beschreiben. Die „neuen Heldinnen“ machen aber auch Mut, räumen mit Vorurteilen auf, erweitern Möglichkeitsräume. Sie Begehren gegen Fremdbestimmung auf, indem sie individuelle Selbstbestimmung leben und propagieren.
Das „Wir“ wird solcher Selbstbestimmung gerne als feindlich gegenüber gestellt. Doch nicht voneinander isoliert, im quasi luftleeren Raum, sondern erst in Gemeinschaft und Gesellschaft, mit und durch die anderen, werden wir zu Individuen. Als marxistische Feministinnen streiten wir für ein Gemeinwesen, in dem „die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für freie Entwicklung aller ist“. Wir sprechen von kollektiven Rechten und davon, „ alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“
Dieser Widerspruch, die Spannungen zwischen Ich und Wir, gehen mitten durch uns hindurch. Wir werden ihrer gewahr als widerstreitende Bedürfnisse, z.B. wenn wir Zeit für uns reklamieren und uns aus Kollektiven zurückziehen, weil wir dort nicht bei uns sind. Wenn wir möglichst lange unverbindlich bleiben, uns scheuen, für ein gemeinsames Projekt Verantwortung zu übernehmen. Wenn der „Wärmestrom“, den jedes Kollektiv benötigt, versiegt zu sein scheint, wenn sich Unlust und Langeweile einstellen. Wenn wir uns für entbehrlich halten und uns und andere gering schätzen.
In diesem Workshop wollen wir uns wertschätzend und selbstkritisch mit unseren eigenen widerstreitenden Bedürfnissen und Begehren auseinandersetzen.

Arbeitsweise / Vorbereitung:
Was wäre eine feministische Herbstakademie ohne Erinnerungsarbeit? Eine Methode, die Spaß macht und immer wieder Überraschendes und Erhellendes zutage fördert. Da der Workshop „Als ich mich bei einem Regelverstoß schuldig fühlte…“ leider entfällt, haben wir uns für den Workshop „Im Kollektiv Zuhause sein?“ eine andere Herangehensweise überlegt. Nach wie vor möchten wir das Spannungsverhältnis zwischen Ich und Wir ausloten, wählen dazu aber nun die Erinnerungsarbeit.

Wer an diesem Workshop teilnehmen möchte, schreibe bitte eine Szene bzw. kleine Geschichte auf. Das Thema  lautet: „Zu dieser Gruppe kann ich nicht mehr gehören“. Die Szene sollte:

  • eine eigene erinnerte Erfahrung beschreiben (ihr kommt also selbst darin vor),
  • möglichst detaillreich geschildert sein,
  • nicht mehr als eine DinA4-Seite umfassen
  • und direkt vor Ort kopierfähig, also bereits abgetippt sein.

Dies ist Voraussetzung, um an dem Workshop teilnehmen zu können.
Wir freuen uns auf Eure Geschichten und den Austausch mit Euch!

Wir gestalten den Workshop so, dass nach der Vormittagsphase gewechselt werden kann. Wer nachmittags hinzu kommt, sollte allerdings Erfahrungen mit Erinnerungsarbeit mitbringen. Wir werden in die Methode vormittags, aber nicht noch einmal nachmittags einführen.

Wer sich vorab genauer über die Methode der Erinnerungsarbeit informieren möchte:
Ein Leitfaden zur Methode von Frigga Haug gibt es hier. Ein Beispiel gibt es hier 


Ist das noch gesund? /Wie gesund ist das denn? Psychiatrie, Psychologie und Medizin als Normalisierungsinstanzen – und wir darin.

Während Männer als Reaktion bei Herzinfarkten Todesangst beschreiben, geben Frauen meist nur Schmerzen und Übelkeit an. Das führt dazu, dass Herzinfarkte bei Männern öfter festgestellt werden als bei Frauen. Depressionen dagegen werden als „Frauenkrankheit“ bezeichnet. In der Art, wie über Krankheiten gesprochen wird, fallen oft nur biologistische, d.h. auf die Körper von Männer und Frauen bezogene, Argumente. Wir wollen den Blick verschieben und uns fragen: Was hat die Vorstellung von ‚gesund‘ und ‚krank‘ mit Normen, Institutionen und gesellschaftlichen – und vor allem auch vergeschlechtlichten – Strukturen zu tun? Wie kommen wir selbst darin vor, welchen Vorstellungen unterwerfen wir uns und wie könnte es gelingen, widerständig einzugreifen, also die herrschenden Normen zu bearbeiten?

Der Workshop wird in zwei voneinander relativ unabhängigen Teilen stattfinden, es wird also die Möglichkeit geben nachmittags dazuzustoßen. Am Vormittag widmen wir uns zunächst dem Begriff ‚krank‘ und Fragen danach, welches Verhalten als ‚krank‘ bezeichnet wird, welche Diagnosen und Therapieformen es gibt und inwiefern Geschlechterzuschreibungen darin eine Rolle spielen. Am Nachmittag dann wollen wir die Gegenseite analysieren: Was bedeutet es, ‚gesund‘ zu leben? Und wieso geht es heute immer noch ‚gesünder‘? Was hat das mit unseren Arbeits- und Lebensverhältnissen zutun? Für beide Workshopteile wird es Material geben (etwa Ausschnitte aus Artikeln oder aus Filmen), die uns Anhaltspunkte dafür geben, wie inbesondere Frauen historisch aber auch gegenwärtig durch Zuschreibungen von Außen ‚krank‘ oder ‚gesund‘ gemacht werden und wie wir selbst daran beteiligt sind.
Gemeinsam wollen wir vom Alltagsverstand ums Krank- und Gesundsein ausgehen, die Bedeutungen im Laufe des Tages aber in Bewegung bringen und uns fragen, was widerständiges, feministisches Handeln sein könnte.